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Gemeinsame Erklärung DPR/DBfK/VdS vom 07.02.2023

Zum Einsatz und der Zusammenarbeit von Community Health Nurses und Gesundheitslotsen in der regional orientierten Versorgung

Berlin, den 07.02.2023

 

Zum Einsatz und der Zusammenarbeit von Community Health Nurses und Gesundheitslotsen in der regional orientierten Versorgung

Gemeinsame Erklärung vom Deutschen Pflegerat (DPR), Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und Verband der Schwesternschaften vom Deut-
schen Roten Kreuz (VdS)

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2021-2025 sieht die Einführung von Community Health Nurses (CHN) und Gesundheitslotsen (GL) vor. Mit beiden Berufsbildern wird u. a. der Anspruch verbunden, eine sektorenübergreifende und patientenorientiertere Versorgung zu ermöglichen. Dieses gemeinsame Papier vom Deutschen Pflegerat e. V. (DPR), dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe – DBfK e. V. und dem Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz e. V. (VdS) skizziert, worin die Gemeinsamkeiten und Spezifika beider Berufsbilder liegen. Es soll verdeutlichen, dass dadurch Synergien entstehen können für eine qualitativ hochwertige und in der Fläche gesicherte Versorgung.

Ausgangslage
Mit zunehmend komplexen, schweren, chronischen und multimorbiden Krankheitsverläufen – überwiegend verbunden mit einem hohen Unterstützungsbedarf und Pflegebedürftigkeit – kommt die bisherige Organisations- und Versorgungsstruktur im deutschen Gesundheitswesen an ihre Grenzen. Das Denken und Handeln in Sektorengrenzen und die engen Handlungskompetenzen der Gesundheitsberufe behindern eine durchgängige interprofessionelle Versorgung, die aus Gründen der Patientenorientierung, der Versorgungsqualität und der Wirtschaftlichkeit dringend notwendig wäre.

Auch der allgemeine Fachkräftemangel im Gesundheitswesen erzwingt ebenfalls neue Lösungen in der Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe. Im ländlichen Raum fehlen zunehmend (Haus-)Ärzt:innen und insgesamt steigt die Anzahl von Menschen mit Unterstützungsbedarf in Single-Haushalten. Pflegende An- und Zugehörige benötigen selbst begleitende, professionelle Unterstützung, um die Care-Arbeit dauerhaft ausführen zu können.

Diese Entwicklung ist bereits vielfach beschrieben und problematisiert worden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat dies ver-
schiedentlich aufgegriffen und Lösungen vorgeschlagen, genauso wie viele andere Akteure im Gesundheitssystem. Die Umsetzung, insbesondere die Überwindung der Sektorenlogik und die Einführung neuer Versorgungsmodelle mit einer besseren Ausrichtung auf die Bedarfe einer demografisch alternden Bevölkerung, die zunehmend von chronischen und Mehrfacherkrankungen geprägt ist, stockt jedoch noch weitgehend.

Die Herausforderungen in der Versorgung chronisch kranker Menschen – besonders bei den großen Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Muskel-Skelett- sowie Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen u. a. – ergeben sich aus der Charakteristik dieser Erkrankungen. Ihr Entstehen ist vielfach abhängig vom Lebensstil und könnte durch Gesundheitsförderung und Prävention verhindert oder ihr Verlauf dadurch abgemildert werden. Sie heilen in aller Regel nicht; Betroffene müssen daher den Umgang und die Auswirkungen ihrer Erkrankungen dauerhaft in ihren Lebensalltag integrieren. Der Verlauf der Erkrankungen beinhaltet häufig und auch wiederkehrend Aufenthalte im Krankenhaus und der Rehabilitation und geht – vor allem in progredienten Phasen – mit Situationen der Pflegebedürftigkeit einher. Er erfordert im Interesse des Patienten eine sektorenübergreifende Versorgung. Eine möglichst gute Stabilisierung des Verlaufs ist das Ziel und hängt ab von einer gut abgestimmten und prinzipiell dynamischen Versorgung im multiprofessionellen Team sowie der zu fördernden Fähigkeit zu Selbstmanagement bzw. der Gesundheitskompetenz des Patienten – und dies alles eingepasst in den sozialen Kontext und die jeweiligen Lebens- und Wohngegebenheiten.

Angesichts dieser Anforderungen im tagtäglichen Umgang mit den Betroffenen und angesichts der strukturellen Rahmenbedingungen, die zu ihrer Bewältigung immer weniger passen, wurden vielerorts aus der Praxis heraus – zum Teil im Zusammenhang mit besonders relevanten Indikationen oder lokalen Problemstellungen – Lösungen entwickelt, die Verbesserungen der Versorgungsqualität und mehr Patientenorientierung versprechen. Dazu zählen neue Berufsbilder wie die Community Health Nurse (CHN) und die Gesundheitslotsen (GL). Die Community Health Nurse ist in der Pflegeprofessionalität verankert, der Gesundheitslotse bezieht sich wesentlich auf die Konzepte des Case-Managements.

Dass der Bedarf an solchen Profilen mittlerweile auch von der Politik gesehen wird, zeigt sich an der Absicht der Einführung der Community Health Nurse und von Gesundheitslotsen, die im Koalitionsvertrag 2021-2025 niedergelegt ist. Da sich die Profile beide auf aktuelle Versorgungsproblematiken beziehen, weisen sie eine Schnittmenge auf und haben zum Teil komplementäre Funktionen in der Primär- und Langzeitversorgung.

Berufsbild „Gesundheitslotse“
Der GL sichert die Kontinuität der Versorgung bei ausgewählten Indikationen. Er koordiniert die Leistungen vor allem von Menschen mit komplexen Versorgungsbedarfen, zum Beispiel in der Onkologie, bei Herz-Kreislauf- und psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen und ihren jeweiligen Komorbiditäten. Dabei sind für den GL die Methoden des Case Managements handlungsleitend, was eine Situationsanalyse, Aufklärung und Beratung und eine Zielvereinbarung unter Abstimmung aller Leistungserbringer im multiprofessionellen Team beinhaltet. Der GL überwacht die Umsetzung einzelner Maßnahmen und des Behandlungsplans und berichtet dazu. Der GL ist eng in die Versorgungsprozesse eingebunden und arbeitet im Netzwerk mit den Leistungserbringern und den relevanten Einrichtungen. Das Profil setzt eine berufliche Erstqualifikation in einem medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder sozialen Beruf voraus und erfordert eine Weiterbildung im Case Management. Das Qualifizierungsniveau wird auf DQR6 angesetzt.

Berufsbild „Community Health Nurse“
Die CHN sichert die wohnortnahe Gesundheitsversorgung in Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren im Bereich Gesundheit, Pflege und Soziales. Sie steht in der Tradition internationaler Vorbilder und reiht sich ein in die Public Health-geprägten Rollen der professionellen Pflege. Sie arbeitet sektorenübergreifend mit einem systemischen Blick auf das Krankheitsgeschehen, vorausschauend im Continuum of Care.

Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehen die Gesundheitsförderung, die Prävention und der Gesundheitsschutz einschließlich der Arbeit an einer gesundheitsunterstützenden Umwelt bzw. Umfeldern („Settings“), die Begleitung und Unterstützung von Einzelnen und Familien im Krankheitsfall und in Pflegesituationen sowie die Erfassung des spezifischen Bedarfs der in einer Kommune oder Region lebenden Bevölkerung sowie die konsequente Ausrichtung der Versorgung darauf. Bevölkerungsgruppen („communities“) mit spezifischen Gesundheitsrisiken und -bedarfen wie zum Beispiel Menschen mit Demenz, Kinder aus sozial benachteiligten Familien, ethnische Gruppen etc. finden besondere Beachtung.

Das Aufgaben- und Leistungsspektrum umfasst Tätigkeiten in der Gesundheitsförderung, der Prävention, dem Gesundheitsschutz, dem Disease Management bzw. Krankheits- und Pflegemanagement und beinhaltet die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen, was u. a. Befähigung zu Leadership und Advocacy erfordert. Auch gehören Aufgaben der Bedarfsanalyse, des Monitorings und der Qualitätssicherung dazu. Je nach konkretem Einsatzfeld – Primärversorgungszentrum, Gesundheitskiosk, kommunale Sozialraumentwicklung oder Öffentlicher Gesundheitsdienst – werden unterschiedliche Schwerpunkte im Vordergrund stehen. Das Profil setzt eine Qualifizierung nach Pflegeberufegesetz und einen Masterabschluss (DQR7) in Community Health Nursing voraus.

Zusammenspiel von Community Health Nurses und Gesundheitslotsen
Beiden Profilen ist zu eigen, Versorgung sicher zu stellen und dafür zu sorgen, dass individuell-situationsbezogene Bedarfe erkannt und beantwortet werden. Sie steuern den Versorgungsprozess und koordinieren die einzelnen Aktivitäten. Dabei unterstützen sie betroffene Menschen, sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden, so dass keine Lücken in der Kontinuität der Versorgung entstehen. Beide Profile beziehen dabei die soziale Situation („Setting“) der von ihnen betreuten Personen ein. Obgleich die CHN vornehmlich in der Primärversorgung angesiedelt ist und der GL auch bei komplexen Akuttherapien zum Einsatz kommen kann, agieren beide sektorenübergreifend, patientenorientiert und auf den Verlaufsprozess bezogen.

Im Gegensatz zum GL ist die CHN auch in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention tätig und beteiligt an der Weiterentwicklung regionaler Versorgungsstrukturen (Care Management), um individuell-komplexe Bedarfe beantworten und um spezifische Angebote für Bevölkerungsgruppen vorhalten zu können. Im Kontext des Disease- bzw. Krankheits- und Pflegemanagements umfasst das Profil der CHN außerdem die Ausübung der Heilkunde, bezogen vor allem auf die großen Volkskrankheiten und deren gängige Komorbiditäten, sowie die Entscheidung über Pflegebedarf und die Hilfsmittel.

CHN und GL können unabhängig voneinander wirken und bedeuten beide einen Mehrwert für die Versorgung von Menschen mit komplexen Versorgungsbedarfen. Die gemeinsame Zusammenarbeit, zum Beispiel in einem Primärversorgungszentrum, dürfte mit einer gut abgestimmten Arbeitsteilung die größten Synergieeffekte erzeugen.

Erforderliche gesetzliche Regulierungen und Finanzierung
Für beide Profile ist die Förderung von neuen Versorgungsformen wie Primärversorgungszentren/Gesundheitszentren und Gesundheitskiosken eine günstige Voraussetzung.

Weitere Regulierungen müssen spezifisch und auf die jeweilige Funktion zugeschnitten werden:
- CHN: Schutz der Berufsbezeichnung „Community Health Nurse“, Verankerung im PflBG, Zuerkennung der Heilkundeausübung, Anpassung der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie §3 sowie von SGB XI §18. Neben klassischen Möglichkeiten der Vergütung (Leistungspauschalen o.ä.) wäre die Einrichtung eines bevölkerungsbezoge-
nen CHN-Fonds denkbar, in den GKV/PKV, Regionalpartner, Bundesland und Bund einzahlen.
- GL: Für die Lotsenleistung ist ein entscheidender Fokus auf ein neues pauschales Finanzierungsmodell zu legen, da sich hierfür eine sozialrechtsübliche Einzelleistungs-
vergütung verbietet.

Referenzen
- DBfK / Agnes-Karll-Gesellschaft (2022): Community Health Nursing – Aufgaben und Praxisprofile.
- Klapper B, Cichon I (2021): Neustart! für unser Gesundheitswesen. Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft MWV.
- Klapper B (2017): Zusammenarbeit für den Patienten – noch keine Selbstverständlichkeit. In G+G Wissenschaft, 17. Jg., 3, 16-22.
- Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2018): Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung.
- Schaeffer D, Griese l, Berens EM (2020): Gesundheitskompetenz von Menschen mit chronischer Erkrankung in Deutschland.


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